Texte

Dr. Heinz Stahlhut, Katalogtext zu „Ich zeichne die Zeit, du malst den Moment“, 2012

Dass sich eine Künstlerin und ein Künstler zusammentun und zeitweilig eine enge Ateliergemeinschaft bilden, ist auch in Zeiten von Künstlergruppen und der Delegation des Schaffensprozesses an Dritte immer noch etwas Besonderes. Das war allerdings nicht immer so. Vom Mittelalter bis ins 18. Jh. gehörte es in Europa zur gängigen Praxis, dass sich in einer Künstlerwerkstatt jeder Mitarbeiter auf ein bestimmtes Motiv oder Gattung spezialisierte und diese in eine Gemeinschaftsarbeit einbrachte. Doch durch das Aufkommen des Geniekultes im späten 17. Jh. geriet diese Vorgehensweise in Misskredit. In der neuzeitlichen Ästhetik galt das individuell geschaffene Werk als Produkt der westlichen Kunst, wohingegen die gemeinschaftliche Kunstproduktion mit archaischen, mittelalterlichen oder „primitiven“ außereuropäischen Kulturen verbunden wurde. Zwischen der Hochkunst, die sich durch Qualitäten wie Einmaligkeit, Individualität und Originalität identifizierte, und der Zusammenarbeit im künstlerischen Bereich tat sich deshalb ein krasser Widerspruch auf.

Zu Beginn des 19. Jh. entstanden zunächst ansatzweise Formen des gemeinsamen künstlerischen Schaffens, so bei den 1808 als „St. Lukas-Bruderschaft“ gegründeten Nazarenern und vergleichbaren Künstlergemeinschaften. Diese Gruppen hatten vor allem die Funktion, den einzelnen Künstler gegenüber der ihm indifferenten oder ihn ausgrenzenden Gesellschaft zu stärken und eine künstlerische Richtung durchzusetzen.

Diese Ideen wurden von den Avantgardekünstlern des frühen 20. Jh., wie den Mitgliedern des Blauen Reiters und den Dadaisten aufgenommen und das Konzept der künstlerischen Originalität von Vertretern des Dada, Surrealismus, der Pop- Art und Postmoderne in vielfacher Weise angegriffen.

Die Gründe solcher Kollaborationen sind vielfältig: So sieht Zdenek Felix in temporärer Zusammenarbeit geradezu eine Voraussetzung für künstlerisches Vorankommen und nennt unter anderem die gedankliche und stilistische Interaktion zwischen Pablo Picasso und Georges Braque, Wassily Kandinsky und Gabriele Münter, Sonia und Robert Delaunay, Le Corbusier und Amédée Ozenfant zu Beginn des 20. Jh. Gemäss Felix funktioniert eine solche Kooperation als kontinuierlicher Austausch von Ideen und Erfahrungen in einem produktiven Arbeitsprozess, in dessen Verlauf das Individuelle in ein anderes, neues Ich transformiert wird. Dazu führt er die „cadavares exquis“ der Surrealisten an, bei denen es laut Max Ernst um die „geistige Ansteckung“ ging. Eine Intensivierung der nur temporären Zusammenarbeit bewirkt daher die zeitlich längere oder gar lebenslange Kooperation, wie zum Beispiel bei Sophie Taeuber und Hans Arp.

Ein weiteres Motiv für die Gemeinschaftsarbeit ist der Wunsch zu überprüfen, wieweit die Gemeinsamkeiten in der künstlerischen Auffassung reichen. Nicht zufällig ist die Praxis der Kooperation gerade seit den späten 1960er und 1970er Jahren vermehrt geübt worden, erschien sie doch den Zeitgenossen selbst als Grenzüberschreitung des individuellen Produktionsrahmens und damit als eine adäquate Antwort auf den Wunsch nach Grenzerweiterung der Künste.

Im Gespräch haben Ulrike Seyboth und Ingo Fröhlich die Beweggründe für ihre Zusammenarbeit und ihre Eigenart deutlich gemacht: Ihre Medien Malerei und Zeichnung unterscheiden sich naturgemäss und dieser materielle Unterschied bewirkt eine jeweils andere Herangehensweise. Der pastosen, opulenten, auf starke sinnliche Präsenz abzielenden Malweise Ulrike Seyboths steht die nüchtern erscheinende, konzeptuelle Zeichnung Ingo Fröhlichs gegenüber, in der die Setzung von regelmässigen Strukturen vorherrscht.

Doch beiden gemeinsam ist ein profundes Interesse an der Gegenüberstellung von Leere und Fülle. Das weisse Blatt bzw. die weisse Leinwand als „Klangraum“ von Farbe und regelmässigen Strukturen ist für beide von entscheidender Bedeutung. Diese Verwandtschaft ermöglicht es offenbar, dass einer gegenüber dem anderen als „Korrektiv“ auftreten, zum Innehalten animieren und ermuntern kann – eine Auseinandersetzung, in der sich jeder über seine Eigenarten bewusst wird.

 

Dr. Heinz Stahlhut, Berlinsche Galerie